Luigi Colani – der Leonardo der Neuzeit und seine organische Designsprache

youDRESSED Editor

Er hatte Ecken und Kanten und ist auch oft angeeckt, liebte aber das Runde: der zuletzt mehr in Fernost, in Deutschland erst postum wieder gefeierte Berliner Startdesigner Luigi Colani, der wie kein Zweiter organische, aerodynamische Formen in die Welt der Konsumgüter brachte.

1928 in Berlin als Sohn eines Schweizer Filmarchitekten mit kurdischen Wurzeln und einer Souffleuse aus Polen geboren, hat Luigi oder eigentlich Lutz Colani zwei „begabte Werker mit Hand“ als Eltern gehabt, die ihn früh geprägt haben. Als der Modern Leonardo da Vinci, wie der Design-Papst auch genannt wurde, 2019 mit 91 Jahren in Karlsruhe verstarb, war es in Deutschland etwas ruhiger um ihn geworden.

Seine größten Erfolge feierte er in der zweiten Hälfte seines Lebens in Japan und China, wo er Chefdesigner von Unternehmen wie Canon, Sony, Mazda und mehrere Gast- und Ehrenprofessuren innehatte. Ab etwa 1995 lebte er mit der Chinesin Zhao Ya-Zhen überwiegend in Shanghai und dem südchinesischen Beihai. Weitere Wohnsitze hatte er ab 2002 in Karlsruhe und ab 2011 in der italienischen Mode- und Designmetropole Mailand.

Colani liebte schnelle Autos und Motorräder und hatte mit Knetmasse, die er immer zur Hand hatte, verschiedene aufregend organisch aussehende futuristische Modelle entworfen. Eines sollte sogar die Form eines Hais annehmen und 600 Stundenkilometer schnell sein, wie er in einem Interview sagte. Aber er war sich auch nicht zu fein für die kleinen Dinge. Für Canon und später auch für Sony hat er unter anderem wieder aus Knetmasse die ergonomisch so gut in der Hand liegenden Griffe designt. Das sieht man den Spiegelreflexkameras teilweise heute noch an.

Das Runde gehörte für ihn ins und aufs Runde

Er war aber mitunter auch ein unbequemer Zeitgenosse und streitsüchtig. So zitierte die Süddeutsche Zeitung ihn in einem Portrait zu seinem 90. Geburtstag mit den Worten: „Wie ein Idiot etwas eckig machen, wo ein runder Arsch draufkommt!“ Gerichtet waren die an Designer deutscher Toilettenschüsseln. Für Villeroy & Boch hat er jedoch verschiedene Sanitärkeramiken entworfen, die in ihren Siebziger-Jahre-Farben auch nicht alle frei von Kanten waren.

Doch das Runde ins Eckige zu bringen, war nicht so sein Fall. Vielmehr wollte er, dass alles irgendwie organische und aerodynamische Formen eines Hais, Delphins oder eines Kugelfisches annahm. Für den Braunschweiger Klavierbauer Schimmel Pianos hat Luigi Colani 1997 einen Flügel mit einem Gehäuse aus Acryl geschaffen, der in seiner futuristischen Designsprache den Namen Pegasus mehr als verdient hat.  Genauer heißt der fast zu schweben scheinende, formbefreite Konzertflügel aus der Art Collection Pegasus K 208, siehe Titelbild.

Dass Colani so alt geworden ist, grenzt fast an ein Wunder. Denn eines seiner Markenzeichen war die dicke Zigarre, die ihn jahrzehntelang begleitete. Die passte auch dazu, dass er, bald wohlhabend geworden, mit Schloss und teuren Sportautos gerne mal auf „dicke Hose“ machte. Dabei hatte das etwas anachronistisches zu seinen langen Haaren und zu seiner Grundphilosophie, dass nicht nur die High Society, sondern jedermann Zugang zu schönem Design haben sollte. Daher hat er sich Zeit seines Lebens auch dem Alltagsdesign gewidmet.

ARTE hat ihm ein Denkmal gesetzt

Im August diesen Jahres wäre er 96 Jahre alt geworden. Kurz davor hat der Fernsehsender ARTE ihm in einem viel beachteten Portrait unter dem Titel „Luigi Colani – Designer ohne Grenzen“ als Zweiteiler ein Denkmal gesetzt, das Colani und sein Werk in allen Facetten zeigt und sehr sehenswert ist. Da erfährt man auch etwas über seine Anfänge, sein Studium der Aerodynamik des Ultraleichtbaus and der École polytechnique und der Analytischen Philosophie an der Sorbonne in Paris, nachdem er an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin hingeworfen hatte, weil sein Professor ihm „in der Bildhauerei nicht mehr beibringen konnte“.

Nach Paris war er 1953 bald schon Leiter der Projektgruppe New Materials bei dem kalifornischen Flugzeugbauer Douglas Aircraft Company. Ein Jahr später folgten die ersten Aufträge von Automobilherstellern wie Fiat, Alpha Romeo und Lancia. 1957 fuhr ein Alpha Romeo mit seiner Karosserie als erster GT-Sportwagen der Welt in unter zehn Minuten um die Nordschleife des Nürburgrings.

Für Rosenthal hat er möglicherweise schon in seinem Atelier auf Schloss Harkotten in Westfalen 1972 das weiße, neunteilige Teeservice Drop designt. Dieses fand mit der Teekanne, die nie tropft, sogar Aufnahme in die ständige Sammlung des Centre Georges-Pomidou in Paris.

Das „Colani-Ei“ im Zechenförderturm in Lünen-Brambauer erinnert an die zur New York World’s Fair 1964 errichteten Aussichtstürme – „Men In Black“ lassen grüßen. Ob ihm der Vergleich gefallen hätte – wer weiß? Denn zu seinen aufregendsten Designs gehören Flugzeuge und Raumschiffe, die an Insekten und Amphibien erinnern und vermuten lassen, dass ihnen ebensolche Außerirdische entsteigen.

 

Quelle Titelbild: Schimmel Pianos